»Es verringert die Abfertigung um fünfzig Prozent. Im Augenblick halten wir die Erlaubnis, zum Start zu rollen, für zehn Maschinen zurück, und zwölf weitere warten auf Erlaubnis, die Motoren anzulassen.«
Das demonstrierte, wie dringend der Flughafen zusätzliche Start-und Taxibahnen brauchte. Seit drei Jahren drängte er auf den Bau einer neuen Startbahn parallel zur Drei-Null sowie anderer Verbesserungen der Betriebsanlagen. Aber der Verwaltungsrat des Flughafens verweigerte unter dem politischen Druck der Stadtverwaltung seine Zustimmung. Der Druck erfolgte, weil die Stadträte, aus nur ihnen bekannten Gründen, eine neue Anleihe vermeiden wollten, die für die Finanzierung erforderlich gewesen wäre.
»Dazu kommt«, fuhr der Leiter der Kontrollturmwache fort, »daß wir die startenden Maschinen über Meadowood leiten müssen, da Startbahn Drei-Null außer Betrieb ist. Die Beschwerden haben schon angefangen.«
Mel stöhnte. Die Gemeinde Meadowood, die im Südwesten an den Flughafen grenzte, war ihm ein ständiger Dorn im Auge und eine Behinderung des Flugbetriebs. Zwar war der Flughafen lange vor der Gemeinde entstanden, trotzdem beklagten sich die Bewohner von Meadowood über den Lärm der Flugzeuge über ihnen. Von der Presse wurden diese Klagen aufgegriffen, was noch mehr Beschwerden, mit immer erbitterteren Anschuldigungen gegen den Flughafen und seine Leitung nach sich zog. Schließlich hatten der Flughafen und die Luftfahrtbehörde des Bundes nach langwierigen Verhandlungen, bei denen auch politische Einflüsse, noch mehr Publizität in der Presse und — nach Mel Bakersfelds Ansicht — grobe Verzerrungen mitgewirkt hatten, zugestanden, daß Starts und Landungen von Düsenmaschinen nur dann unmittelbar über Meadowood erfolgen sollten, wenn besondere Umstände das erforderlich machten. Da dem Flughafen Start- und Landebahnen ohnehin nur in begrenztem Umfang zur Verfügung standen, war die Einbuße an Leistungsfähigkeit beträchtlich.
Darüber hinaus wurde auch vereinbart, daß Maschinen, die über Meadowood starteten, sofort nach dem Abheben Vorkehrungen zur Drosselung des Lärms ergreifen sollten. Das löste seinerseits wieder Proteste der Piloten aus, die diese Maßnahmen für gefährlich hielten. Die Fluggesellschaften dagegen — die an den öffentlichen Zorn und den Ruf ihrer Firmen dachten — ordneten an, daß die Piloten sich diesen Vorschriften fügen sollten. Doch selbst damit gaben sich die Einwohner von Meadowood noch nicht zufrieden. Ihre kampffreudigen Führer protestierten weiterhin, organisierten und planten, jüngsten Gerüchten zufolge, juristische Schritte gegen den Flughafen.
»Wie viele Anrufe sind gekommen?« fragte Mel den Leiter der Wache. Schon vor der Frage kam er zu der düsteren Überzeugung, daß noch mehr Stunden seines Arbeitstages durch Delegationen, Auseinandersetzungen und die gleichen ergebnislosen Diskussionen wie früher in Anspruch genommen werden würden.
»Ich würde sagen, mindestens fünfzig haben wir beantwortet. Und auf weitere Anrufe haben wir nicht mehr reagiert. Das Telefon fängt unmittelbar nach jedem Start zu klingeln an — auch auf unseren Anschlüssen, die nicht im Telefonbuch stehen. Ich würde was dafür geben, wenn ich wüßte, woher sie die Nummern haben.«
»Sicher haben Sie den Leuten, die anriefen, gesagt, daß wir in einer besonders schwierigen Lage sind — das Unwetter, die nichtbetriebsfähige Startbahn.«
»Wir haben alles erklärt, aber niemand hat sich dafür interessiert. Die Leute wollen einfach, daß die Flugzeuge nicht mehr über sie hinwegfliegen. Manche sagen, ob Schwierigkeiten bestünden oder nicht, die Piloten seien gehalten, die Vorschriften zur Minderung des Lärms zu befolgen, täten es aber nicht.«
»Mein Gott! Wenn ich Pilot wäre, täte ich's auch nicht«, sagte Mel. Wie konnte ein intelligenter Mensch bei dem heutigen Unwetter von einem Piloten erwarten, unmittelbar nach dem Start die Motoren zu drosseln und dann im Instrumentenflug in eine scharfgezogene Kurve zu gehen: denn das schrieben die Vorschriften zur Minderung des Lärms vor.
»Ich auch nicht«, stimmte der Leiter auf dem Kontrollturm zu, »obwohl das wahrscheinlich eine Frage des Standpunkts ist. Wenn ich in Meadowood wohnte, wäre ich vielleicht der gleichen Ansicht wie die Leute dort.«
»Sie wären nicht nach Meadowood gezogen, sie hätten auf die Warnungen gehört, die wir den Leuten zukommen ließen, schon vor Jahren, sie sollten dort keine Häuser bauen.«
»Wahrscheinlich. Übrigens sagte mir einer meiner Leute, sie würden heute abend dort wieder eine Gemeindeversammlung veranstalten.«
»Bei diesem Wetter?«
»Anscheinend wollen sie bei ihrer Absicht bleiben, und nach dem was wir gehört haben, hecken sie etwas Neues aus.«
»Was es auch sei«, prophezeite Mel, »ich werde es bald erfahren.«
Trotzdem, überlegte er, wenn in Meadowood tatsächlich eine öffentliche Versammlung stattfand, war es ärgerlich, den Leuten noch Wasser auf die Mühle zu gießen. Es war so gut wie sicher, daß Presse und Lokalpolitiker anwesend waren, und die vielen Flüge unmittelbar über ihre Köpfe hinweg, so notwendig sie auch sein mochten, würden ihnen reichlich Stoff zum Schreiben und Reden geben. Deshalb, je eher die blockierte Startbahn — Drei-Null — wieder betriebsfähig war, um so besser war es für alle Betroffenen.
»Ich werde selbst auf das Flugfeld hinausgehen«, sagte Mel, »und nachsehen, was vorgeht. Ich gebe Ihnen Nachricht, wie es da draußen steht.«
»Danke.«
Mel wechselte das Thema und fragte: »Hat mein Bruder heute abend Dienst?«
»Ja. Keith hat Radarwache — Anflüge von Westen.«
Anflüge von Westen, das war eine der schwierigen, anspruchsvollen Aufgaben im Kontrollturm, zu der die Überwachung aller eintreffenden Maschinen im westlichen Quadranten gehörte. Mel zögerte erst, aber er kannte den Dienstleiter im Kontrollturm schon lange, darum fragte er: »Ist mit Keith alles in Ordnung? Zeigt er keine Erschöpfung?«
Erst nach einer kurzen Pause kam die Antwort. »Doch, das tut er, mehr als üblich.«
Beiden Männern war Mels jüngerer Bruder in letzter Zeit eine Quelle der Sorge gewesen.
»Offen gesagt«, fuhr der Dienstleiter im Kontrollturm fort, »ich wünschte, ich könnte ihm einen leichteren Dienst geben, aber es geht nicht. Wir sind unterbesetzt, und jeder ist hart eingespannt. Das gilt auch für mich«, fügte er noch hinzu.
»Das weiß ich, und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie sich so um Keith kümmern.«
»Na ja, in unserem Beruf haben die meisten hin und wieder mal eine Periode der Erschöpfung.« Mel spürte, daß der Dienstleiter seine Worte sorgfältig wählte. »Manchmal zeigt es sich in der geistigen Verfassung, manchmal in der nervlichen. Aber was es auch ist, wir versuchen uns gegenseitig zu helfen, wenn es dazu kommt.«
»Danke.« Das Gespräch hatte Mels Sorge nicht gemildert. »Vielleicht schaue ich Später mal herein.«
»Jederzeit, Sir.« Der Dienstleiter auf dem Kontrollturm hängte ein.
Das »Sir« war reine Höflichkeit. Mel hatte keine Autorität über die Flugsicherung, die ausschließlich der Bundesbehörde für Luftfahrt in Washington unterstand. Aber die Beziehungen zwischen den Dienstleitern der Flugsicherung und der Flughafendirektion waren gut, und Mel ließ es sich angelegen sein, daß sie es blieben.
Ein Flughafen, jeder Flughafen weist eine schwer durchschaubare Komplexität sich überschneidender Autoritäten auf. Keine Einzelperson hat höchste Anweisungsbefugnis, dennoch ist kein einziger Abschnitt völlig unabhängig. Als Generaldirektor des Flughafens kam Mel einer alles umfassenden Leitung am nächsten, aber es gab Bereiche, von denen er wußte, daß es klüger war, sich nicht einzumischen. Einer davon war die Flugsicherung, ein anderer die Leitung internationaler Fluggesellschaften. Er konnte in Angelegenheiten eingreifen, die das Wohl des Flughafens als Ganzes, oder der Menschen, die sich seiner bedienten, betrafen. Er konnte widerspruchslos einer Fluggesellschaft befehlen, ein Schild zu entfernen, das irreführend war oder den Normen des Flughafens nicht entsprach, doch was hinter ihrer Tür vorging, war innerhalb vernünftiger Grenzen ausschließlich die Angelegenheit der Beauftragten der Fluggesellschaft.
Aus diesem Grund mußte der Direktor eines Flughafens nicht nur ein Taktiker, sondern auch ein vielseitiger und gewandter Verwaltungsfachmann sein.
Mel legte den Hörer in der Schneekontrolle auf die Gabel zurück. Auf einer anderen Leitung stritt sich Danny Farrow mit dem Aufsichthabenden der Parkplätze, einem geplagten Individuum, das seit mehreren Stunden zornige Beschwerden steckengebliebener Autobesitzer weitergegeben hatte. Die Leute fragten: »Wissen die Stellen, die für die Leitung des Flughafens verantwortlich sind, denn nicht, daß es schneit? Und wenn sie es wissen, warum macht sich dann nicht jemand auf die Socken und schafft das Zeug fort, damit man mit seinem Wagen, wann und wohin man will, fahren kann, wie es das demokratische Recht jedes Menschen ist?«
»Sagen Sie, wir hätten eine Diktatur ausgerufen.« Danny bestand darauf, daß die nicht bewachten Parkplätze warten müßten, bis die vordringlichen Probleme gelöst seien. Er würde Ausrüstung und Leute schicken, sobald er könne. Er wurde durch einen Anruf des Dienstleiters im Kontrollturm unterbrochen. Eine neue Wettervoraussage kündigte in einer Stunde einen Wechsel der Windrichtung an. Das bedeutete, daß andere Startbahnen benutzt werden mußten. Ob nicht ganz schnell Startbahn Eins-Sieben links vom Schnee geräumt werden könne? Er würde sein möglichstes tun. Er würde mit dem Leiter des Schneeräumkommandos Verbindung aufnehmen und den Kontrollturm zurückrufen.